(Deutsch) Schenken macht glücklich

Sorry, this entry is only available in German.

Schenken macht glücklich  Schenken macht glücklich

… nicht nur zur Weihnachtszeit – Das Geschenk – eine Kurzgeschichte

Eigentlich wollte ich als Nächstes etwas über unser inneres Sonnenkind schreiben, ich hatte schon Ideen im Kopf. Heute Morgen bekam ich den täglichen Impuls vom AEU (Arbeitskreis evangelischer Unternehmer). Heute ist der 11. November. Der Impuls ging ums Schenken, passend zu St. Martin.

Und schon kamen mir spontan Menschen in den Sinn, die mir, bewusst oder unbewusst, Geschenke gemacht haben. Die Familie auf der Fährfahrt nachts nach England, die unserem Sohn spontan eine Tafel Schokolade schenkte. Der Mann im Hohen Atlas in Marokko letztes Jahr, der unserem Sohn beim Abschied Mineralien schenkte. Beide Male berühte mich zutiefst, dass die Geschenke von Herzen kamen. Wir spüren, ob Menschen mit dem Herzen dabei sind.

Was können wir Menschen schenken? Das kann ein leckeres Essen sein, mit Liebe zubereitet. Die praktische Unterstützung beim Aufbau eines Regals. Aufmerksames Zuhören. Ein persönlich formuliertes Kompliment, das von Herzen kommt. Wenn wir in uns hineinhorchen, werden wir Ideen bekommen. Das Schöne am Schenken ist, dass der Schenkende etwas zurückbekommt. Blicke, Gesten, Worte, die mir anzeigen, dass ich einem Menschen eine Freude gemacht haben lösen bei mir ein Gefühl von innerer Wärme und Ruhe aus.

Vielleicht werden jetzt einige denken: “Ja, aber nicht immer bekommt man etwas zurück.” Stimmt. Aber besteht die Kunst des Schenkens nicht auch darin, weiterhin zu schenken, auch wenn wir keine Rückmeldung erhalten? Die Menschen, die ich oben erwähnte, werden nicht wissen, dass ich noch heute an sie denke und diese Momente in wertvoller Erinnerung behalte.

Bei dem eingangs erwähnten Impuls wurden wir gefragt, was wir heute tun könnten – Außergewöhnliches, Verrücktes, Zeichenhaftes – für die Menschen, denen wir begegnen. Ich habe spontan eine Kurzgeschichte geschrieben, die ich mit Dir teilen möchte.

Das Geschenk von Bettina Bonkas

Ich saß an meinem Schreibtisch. Ich sollte eine Kurzgeschichte übers Schenken schreiben. Der Abgabetermin war schon in drei Tagen. „Ach, lasst mir doch meine Ruhe!“ – mir fiel einfach nichts ein.

Ich ließ alles liegen und ging raus. Irgendwohin. Einfach durch die Stadt. Das mache ich immer wieder, wenn mir beim Schreiben nichts einfällt. Ziellos herumlaufen, Leute beobachten, mich in ein Café setzen. Letzteres ging gerade nicht, Corona sei Dank. Aber auf andere Gedanken würde ich sicherlich kommen.

Ich bin es mittlerweile gewöhnt, dass ich von anderen immer wieder angeschaut werde. Ich habe einen knallroten Kurzhaarschnitt, na ja, nicht ganz knallrot, es geht ins Orangefarbene bis rot. Meine Kleidung ist auch eher auffällig, was auch immer auffällig ist. Ich kaufe mir keine Kleider von der Stange, sondern nehme, was ich auf der Straße finde. Das mache ich aus Prinzip. Es ist schon irre, was die Leute alles wegwerfen. Ich finde garantiert immer etwas und sei es für andere. Meistens ändere ich etwas ab und füge ein paar Details hinzu. Ich bin keine Erfinderin, ich könnte Kleider nicht komplett neu designen, aber wenn ich sie dann vor mir liegen sehe, habe ich immer Ideen, was ich daran ändern kann. In einer Ecke meines Wohnzimmers habe ich meine ganze Deko untergebracht. Es macht mir Spaß, alte Sachen aufzuhübschen.

Nach einer Runde durch die Stadt brauchte ich Natur. Ich beschloss, in den Park zu gehen. Die Natur würde mich wieder runterbringen und mir helfen, meine Gedanken zu ordnen. Ich bin ein Menschen mit vielen Ideen, ich brauche die Ruhe zwischendurch. Ich lief durch eine ruhige Seitenstraße. Die alten Gebäude schauten mich erhaben und würdevoll an. Was die wohl schon alles erlebt haben? Waren sie neu aufgebaut oder hatten sie den Krieg überlebt? Was für eine fürchterliche Zeit das gewesen sein muss. Ich hörte die Schritte hinter mir nicht.

Plötzlich stand der Mann vor mir und schrie mich mit „Du Judensau!“ an. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Voll krass, der ist vielleicht in deinem Alter und uns trennen Welten.“ Mehr konnte ich gar nicht denken, im nächsten Moment hatte er mir meine Kette, einen großen silberfarbenen Davidstern an einem schwarzen Lederband, mit Wucht über den Kopf gerissen. Ich wollte sie ihm aus der Hand reißen, aber er griff meine Hand und verdrehte sie. Es tat verdammt weh.

Das ist jetzt meine Kette.“ Er war sie auf den Boden und trat auf den Davidstern. „Sei froh, dass ich kein Araber bin. Bei denen kriegst‘e die Hand abgehackt, wenn de klaust. Von uns gibt’s Gas.“ Und dann sprühte er mir Pfefferspray voll in die Augen. Ich sackte auf den Boden.

Dort fand mich eine Frau kurze Zeit später. Sie begleitete mich zur Ambulanz und auch zur Polizei. Wie ein Engel war sie an meiner Seite, auch später noch in meiner Wohnung. Dort brach es dann aus mir heraus. Ich weinte bitterlich. Ich hatte mir immer wieder blöde Bemerkungen anhören müssen, vor allem damals in der Schule, aber ich bin ziemlich selbstbewusst. Ich bin stolz darauf, jüdisch zu sein. Nein, ich bin nicht dafür verantwortlich, was in Israel läuft, ich finde vieles davon auch nicht toll. „Hört auf damit, mich dafür verantwortlich zu machen!“, sage ich immer wieder. „Ich bin nicht die Regierung von Israel. Abgesehen davon ist Israel ein tolles Land. Ich bin eine 25-jährige Deutsche jüdischen Glaubens.“ Fast immer haben mir Freunde geholfen. Es war schon damals zum Teil übergriffig, was ich mir anhören musste, aber heute hatte ich zum ersten Mal richtig Angst.

Das wollte ich nicht. Ich wollte diesen Menschen nicht die Macht über mich geben. Und dennoch war ein großer Teil von mir bis ins Mark erschüttert. Ich zitterte immer wieder am ganzen Körper. Die Frau nahm mich ohne zu zögern in den Arm. In ihrem Alter, ich schätzte sie so um die Mitte/Ende sechzig, gehörte sie zur Corona-Risikogruppe. Ich wollte erst ablehnen, ich wollte sie schließlich nicht gefährden, aber ich war viel zu schwach. Ihre Umarmung tat mir unendlich gut.

Mein Davidstern lag auf dem Couchtisch. Zerkratzt und mit einem Fußabdruck darauf. Ich hatte einen Mix an Gefühlen aus Wut, Hass und Traurigkeit. Und auch eine ganz tiefe Dankbarkeit dieser fremden Frau gegenüber, die ich gar nicht kannte und deren Namen ich noch nicht einmal wusste. Sie hatte mir nicht nur geholfen und die ganze Zeit an meiner Seite gestanden, sondern sie gab mir auch ein Gefühl von Wärme und Vertrauen. Ich merkte, wie mein Hass wich. Darüber war ich sehr froh, denn Hass kostet Energie. Die wollte ich diesem Typen nicht geben.

Ich musste auf dem Sofa eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, lag mein Kopf weich auf meinem Kopfkissen gebettet und meine Bettdecke hielt mich schön warm. Die Frau war nicht mehr an meiner Seite. Auf dem Couchtisch fand ich eine Nachricht von ihr:

Ich bin von ganzem Herzen erschüttert, dass Sie diesen Überfall erleben mussten. Ich bin unendlich dankbar, dass ich entgegen meiner ursprünglichen Planung zu dieser Zeit im Park war und Ihnen ein wenig helfen konnte. Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Ihre Wunden körperlich als auch seelisch gut verheilen.

Leider musste ich gehen, ich wollte Sie nicht wecken. Bitte lassen Sie mich wissen, wenn ich etwas für Sie tun kann. Auf der Rückseite finden Sie meine Kontaktdaten. – Dankeschön, dass ich an Ihrer Seite sein durfte. Ihre Ellie Werner.

Mit meiner linken Hand tippte ich am nächsten Tag meine Kurzgeschichte übers Schenken. Meine rechte war zwar bandagiert, aber dafür hatte ich jetzt Inspirationen für die Geschichte.

Ich habe bei dem Ganzen auch ein Geschenk bekommen: Ellie Werner ist eine Freundin für mich geworden. So what, dass sie nicht in meiner Altersgruppe ist? Von ihr können sich viele Jüngere eine Scheibe abschneiden. Ich habe sie schon mit in die Synagoge genommen. Nicht dass ich selbst besonders häufig gehe, aber ab und zu schon und einmal war eben Ellie Werner mit dabei. Den Überfall habe ich recht gut verarbeitet, ich habe darüber gesprochen und geschrieben. Ich bin der Meinung, dass es nicht sein kann, dass Menschen jüdischen Glaubens oder egal welchen Glaubens – nur fanatisch dürfen sie nicht sein – Angst haben müssen. Dafür trete ich ein.

Frau Werner bin ich sehr dankbar dafür, dass sie mir geholfen hat und an meiner Seite war, die ganze Zeit. Menschen wie sie geben uns den Glauben an das Gute. Dafür lohnt es sich einzustehen, immer wieder aufs Neue. Vielleicht kann ich mit meinem Text dazu beitragen – ich würde mich freuen. (Damit wären wir wieder beim Schenken😊.) – End of story.

Diese Geschichte ist spontan entstanden, aus der Inspirationen von heute Morgen und einer weiteren: Die Dokumentation im ZDF “Hey, ich bin Jude! – Jung. Jüdisch. Deutsch” – Sicherlich spielte auch die Inspiration durch meinen Vater mit hinein. (Mehr dazu unter Resilienz)

Ich empfinde es als Geschenk, in einem demokratischen Land zu leben. Dafür müssen wir uns immer wieder aufs Neue einsetzen.

 

Übrigens, wer gerne noch mehr übers Schenken lesen möchte, hier ein Artikel aus der Zeitung  “Die Zeit”: Vorsicht, Geschenk! Erst lesen, dann auspacken!


Anmerkung zum “Du”
: Mit dem Du möchte ich die Distanz überbrücken, die zwischen uns, die wir uns nicht persönlich kennen, besteht.

Bettina Bonkas, Coaching + Training | Im Ärmchen 3, D-61273 Wehrheim im Taunus | Contact | Impressum | Data Protection | Datenschutz Cookie-Settings | Cookie-Einstellungen