Manchmal ist es ein Satz, den wir lesen oder hören, der etwas mit uns macht. Ich las einen solchen Satz in einem englischen Magazin, in der Rubrik „Shared values“ (geteilte Werte), in der eine englische Nationalspielerin für Rugby über ihre Werte sprach. Diesen Satz fand ich so „powerful“, dass er Teil dieser Geschichte ist.
Die Botschaft von Weihnachten von Bettina Bonkas
„Das war heute Morgen ‚mal wieder ganz schön laut bei Ihnen da oben. Übrigens der Nikolaus vor Ihrer Tür ist von mir.“
Bevor Marie etwas erwidern konnte, war Herr Winter schon wieder in seiner Wohnung verschwunden. Manchmal konnte sie ihm einfach nur eine klatschen. Immer musste er an ihr und Felix herummeckern. Und dann wieder stellte er für ihn einen liebevoll verpackten Nikolaus vor die Tür. Den konnte er sich dann auch sparen. Ihre Freunde hatte sie davor gewarnt, mit dem Vermieter unter einem Dach zu wohnen. Aber nirgendwo anders würde sie in Bad Homburg eine so schöne Drei-Zimmer-Wohnung direkt am Kurpark finden und dazu auch noch bezahlbar. Jetzt wollte sie nicht weiter darüber nachdenken, sie hatte Felix schließlich nicht früher vom Kindergarten abgeholt, um jetzt zu grübeln.
„Komm, Felix, wer zuerst am Park ist!“
Beide stürmten los und ließen sich im Park in den Schnee fallen. Es hatte den ganzen Tag über geschneit und der Park hatte jetzt einen ganz besonderen Charme. Der See war zugefroren und bei der Dämmerung brannten die Laternen, die ein wunderschönes Licht zauberten. Die Schneedecke ließ den Park ganz friedlich aussehen. Marie spielte mit Felix im Schnee und machte zwischendurch immer wieder Fotos von der Wintermärchenwelt.
„Mama, jetzt eine Schneeballschlacht“, und schon warf Felix den ersten Schneeball, der allerdings nicht sie traf, sondern einen vorbeikommenden Mann.
„Ah, voll getroffen.“ Der Mann hielt sich theatralisch die Hände vors Herz und sank zu Boden, formte blitzschnell einen Schneeball und warf ihn auf Felix. Ehe sich Marie versah, lieferten sich die beiden eine wilde Schneeballschlacht und bezogen auch sie voll mit ein.
Später saßen alle drei zusammen in der Wohnung von Marie und Felix und tranken Kakao. Ja, er war ein Fremder, aber es fühlte sich richtig an. Dieser ersten Begegnung mit Max folgten weitere und schließlich wurden Marie und Max ein Paar und er zog bei ihnen ein.
„Mann, Herr Winter hat heute Morgen wieder so genervt. Wieder einmal war ihm irgendein Spielzeug von Felix im Weg. Das geht mir so auf den Wecker mit ihm.“
Beide schwiegen.
„Du musst aber zugeben, dass Felix seine Sachen gerne herumliegen lässt.“ Max sah sie dabei mit einem Grinsen an.
„Ja, aber er muss nicht so kleinlich sein. Außerdem kann er das auch in einem anderen Ton sagen.“
„Stimmt. Aber, siehst du eigentlich, dass Herr Winter nicht glücklich ist?“
„Keine Ahnung, das ist mir auch egal. Du hast immer für alle Verständnis, oder?“ Marie war entnervt, wie es meistens der Fall war, wenn es um Herrn Winter ging.
„Nee, nicht immer und nicht für alle. Aber das ist ein wichtiger Teil meines Jobs, Menschen zu verstehen. Das macht meinen Job einfacher; und auch interessanter.“
„Ja, ich weiß und dafür liebe ich dich auch, aber ich finde es so schwierig, immer wieder verständnisvoll zu sein. Herr Winter überfordert mich einfach.“
Max schwieg kurz, bevor er antwortete.
„Als ich erkannt habe, dass Menschen sich nicht blöd verhalten, weil sie blöd sind, sondern weil ich unbewusst etwas bei ihnen getriggert habe, hat mir das sehr geholfen. Mein Job als Lehrer ist es, hinter die Fassade meiner Schüler zu schauen und das Beste aus ihnen herauszuholen, und mich nicht provozieren zu lassen. Klappt mal besser, mal schlechter.“
„Und wie komme ich da hin?“
„Das ist ein Prozess, Marie. Mach’ dir bewusst, dass Herr Winter das nicht macht, um euch zu ärgern und auch nicht, weil er blöd ist, sondern weil ihn etwas belastet. Ich habe irgendwann gelernt: Du weißt nie, was sich bei anderen im Leben gerade abspielt. Wenn du nicht ihre Geschichte kennst, dann urteile nicht über sie, das wäre sonst unfair. Das soll nicht heißen, dass du dir alles gefallen lässt. Mach‘ dir auch bewusst, dass das Problem, was auch immer es ist, seins ist, nicht deins. Du kannst schauen, was du besser machen kannst, wie z.B. Felix konsequenter aufräumen lassen.“
Max schwieg kurz. „Wenn das bei dir, in deinem Inneren ankommt, dann kannst du großzügiger mit ihm umgehen. Das macht dann auch dein Leben leichter.“
Marie sah ihn nachdenklich an. Max‘ Worte bewegten etwas ihn ihr.
Ein paar Tage später war Max in der Wohnung von Herrn Winter, um ihm ein ausgeliehenes Werkzeug zurückzubringen. Max deutete auf Fotos, die auf einem alten Sekretär standen.
„Ist das Ihr Sohn?“
„Ja.“
„Lebt er hier in der Gegend?“
„Er ist vor sechs Jahren gestorben.“
„Oh, das tut mir sehr leid.“
Max schaute betroffen auf den Boden, er wusste nicht, was er sagen sollte.Es tat Herrn Winter sehr gut, dass Max aufrichtige Betroffenheit zeigte; und er drängte ihn nicht. Schließlich erzählte er ihm von Anton, seinem einzigen Kind, das ihn an Max erinnerte. Anton war Kinderarzt und Kindertherapeut und, wie Max auch, liebte er seinen Beruf. Herr Winter hatte ein sehr enges Verhältnis zu seinem Sohn. Eines Tages kam er von einer Fahrradtour nicht mehr zurück, die Bremsen hatten versagt. Ein bedauerlicher Unfall, der sein ganzes Leben verändert hatte und über den er nicht hinwegkam. Herr Winter hatte sich auf Enkelkinder gefreut und jetzt war er allein. Der Tod ihres Kindes hatte ihn und seine Frau auseinandergebracht.
„Haben Sie schon mal an Hilfe gedacht?“
„Das bringt doch nichts.“
„Doch. Und das würde Ihr Sohn Ihnen bestätigen. Und ich glaube auch, dass er nicht wollte, dass Sie so leiden.“
Marie und Max luden Herrn Winter für Heiligabend ein. Ob er kommen würde, wussten sie nicht; er ließ es offen. Sie würden auf jeden Fall für vier Personen kochen.
Er kam, ein wenig verspätet, aber er kam. Sie verbrachten einen wunderschönen Abend mit sehr leckerem Essen und lustigen Spielen. Felix schenkte er einen großen Kasten mit Buntstiften. Gemeinsam saßen die beiden später am Tisch und Herr Winter zeichnete ihm eine Geschichte, die beide zusammen erfanden. Marie war total erstaunt.
„Ich wusste gar nicht, dass Herr Winter so gut zeichnen kann“, flüsterte sie Max in der Küche zu.
„Ich glaube, wir wissen so einiges nicht von unserem Vermieter.“
Max nahm Marie lächelnd in die Arme.Es war schon spät, als Marie Felix ins Bett brachte.
„Mama, ich mag Weihnachten.“
„Wieso, weil es so schöne Geschenke gibt?“ Marie zwinkerte Felix zu.
„Auch, aber Weihnachten macht die Menschen nett. Ich mag Herrn Winter jetzt richtig gerne.“
Marie hatte Tränen in den Augen, als sie ihren Großen ganz fest an sich drückte.
Die Botschaft von Weihnachten: Es gibt keine größere Kraft als die Liebe. Sie überwindet den Hass wie das Licht die Finsternis. – Martin Luther King