März: Abschied nehmen

Auch wenn Abschiede unsagbar schmerzhaft sind, begleitet sie auch etwas Liebevolles , das wir, im Moment unserer größten Verletzbarkeit, als ungemein wohltuend und tröstend empfinden – wenn wir es schaffen, es zuzulassen.

Abschied (Teil I) von Bettina Bonkas

Geschichte in zwei Teilen. 1. Teil:

Lara erinnerte sich genau daran, als der Anruf kam. Es war um 6:10 Uhr an einem Samstagmorgen. Sie war zuvor schon glockenhell wach, was höchst selten bei ihr vorkam. So früh aufzustehen war aber keine Option, nicht an einem Samstag. Als das Telefon klingelte, wusste sie sofort, was passiert war.

Die Sonne schien, als sie später zu ihrer Oma fuhr. Zwischendurch regnete es immer wieder. Das Wetter schien sich nicht entscheiden zu können: Sonne oder Regen. Genauso sah es in ihrem Inneren aus.

Sie spürte wieder diese Stille, als sie das Gebäude betrat. Diese hatte sie schon eine Woche zuvor als sehr angenehm empfunden. Sogleich kam eine Schwester auf sie zu. Wie selbstverständlich begleitete sie sie zum Zimmer ihrer Oma. Lara empfand ihre Begleitung als ungemein wohltuend. Als sie an das Bett ihrer Oma trat, entfernte sich die Schwester unauffällig. Lara bemerkte es nicht, für sie stand die Zeit still. Auf dem Bett ihrer Oma sah sie die wunderschöne Dekoration: violette Rosenblätter lagen verteilt um sie herum. Auf dem Nachtischchen stand eine violettfarbene Rose in einer Blumenvase, daneben eine Kerze und ein Engel.

Na, Oma, das gefällt dir bestimmt richtig gut. Du hattest ja schon zu Lebzeiten einen Blick für das Schöne und immer alles so schön gemacht. Deine gedeckten Tische waren einfach legendär und deine Wohnung ein echtes, kleines Schmuckstück. Das hier alles passt so gut zu dir.“ Lara lächelte.

Dann erst fiel ihr Blick auf ihre tote Oma, etwas, das sie zuvor vermieden hatte, und sie erschrak: Wie abgemagert sie war. Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, wie sehr der Krebs an ihr gezerrt hatte. Sie sah so ganz anders aus als Opa damals. Sein Tod war unverhofft gekommen. Nun gut,  mit 91 Jahren stirbt man nicht ganz unverhofft, aber er war vorher nicht durch Krankheit gezeichnet gewesen und so sah er in seinem Tod fast ein wenig jugendlich aus. Ein erstaunter Ausdruck hatte auf seinem Gesicht gelegen: „Ach, das ist der Tod? Der ist ja gar nicht so schlimm“, schien er auszustrahlen.

Lara musste sich fassen. Sie wandte ihren Blick ab, nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihrer Oma. Sie musste sich zwingen, sie zu berühren. Komisch, bei Opa war es so natürlich für sie gewesen, ihn zu streicheln und ihn sogar zu küssen. So anders war es jetzt bei ihrer Oma. Sie ging ins Zwiegespräch mit ihr und ließ ihre Tränen frei laufen.

Du hast es geschafft, Oma. Kein Leiden mehr. Jetzt bist du bei deinem Bruder, deiner Schwester und beim Rest deiner Familie. Ich bin mir sicher, da oben haben sie schon auf dich gewartet. Aber du fehlst uns so. Warum musste nur alles so schnell gehen? Warum bekamen wir keine zweite Chance wie bei Opa und Omi damals?“ Laras Stimme versagte.

Einem inneren Impuls folgend verließ sie das Zimmer. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Draußen traf sie auf eine Schwester.

Möchten Sie einen Kaffee trinken?“

Lara nickte stumm und im nächsten Moment saß sie mit der Schwester zusammen im gemütlichen Wohnzimmer des Hospizes. Schon letzte Woche waren ihr die frischen Farben, grün und violett, im Gebäude aufgefallen, die ausgesprochen gut zum warmen Braun des Holzbodens passten. Überall waren liebevolle kleine Details verteilt. Sie empfand die ganze Atmosphäre als ungemein wohltuend und beruhigend. Die Schwestern und Pfleger gingen mit dem Tod auf bewundernswert natürliche Weise um. Noch letzte Woche kamen die beiden Hunde einer Schwester in das Zimmer ihrer Oma gelaufen, deren Zimmertür immer offen stand. Nur jetzt natürlich nicht. Jetzt war alles anders.

Erst im letzten Jahr hatten wir uns wieder angenähert und jetzt ist tot.“

Laras Stimme versagte. Die Schwester streichelte wortlos ihre Hand. Sie spürte, dass Lara noch nicht fertig war.

Wissen Sie, Oma war nicht immer einfach. Aber wir vermutlich auch nicht. Sie hat meinen Papa sehr verletzt. Davor war unser Verhältnis gut, aber dann war Oma zu weit gegangen, da war dann erst einmal Funkstille. Als sie letztes Jahr im  Februar ihren 80sten feierte, gingen wir hin. Ich glaube, Oma hat sich total gefreut. Sie hat nichts gesagt, aber sie hatte so einen Blick drauf, der hat alles gesagt. Danach trafen wir uns immer wieder und dann, im August schon, kam die Diagnose Krebs. Das war erst einmal nicht einfach. So toll war unser Verhältnis zu der Zeit noch nicht. Ich habe damals gebetet, dass Gott mir hilft, Oma liebevoll zu unterstützen. Das fiel mir nicht leicht, ich wollte ihr schließlich keine Liebe vorlügen. Ich rief sie aus England an, ich lebte dort damals, und sie hat sich total gefreut. Ich war dann ganz optimistisch, dass alles gut gehen würde. Meine andere Oma hatte einige Jahre zuvor auch Darmkrebs und da ging alles gut.

Zwischendurch war ich immer wieder in Deutschland. Wenn ich zu Hause war, ging ich natürlich zu Oma. Das war am Anfang nicht so einfach, denn Oma schimpfte ganz schön auf die Pflegekräfte. Und ich habe mich irgendwie reingesteigert. Sie hatte Papa ganz schön weggetan und mich da mit reingezogen. Das konnte ich nicht ausradieren, gleichzeitig wollte ich ihr aber auch helfen. Sie brauchte jetzt echt unsere Hilfe. So versuchte ich dann zu machen, was möglich war, wenn ich in Deutschland war, aber ein Bein habe ich mir nicht ausgerissen, dazu war ich noch zu sehr verletzt.“ Lara schwieg.

2. Teil folgt in Kürze

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